Ein Wohnviertel irgendwo im Ruhrpott. Hier lebt Amal, eine der Protagonisten von Karosh Tahas Roman „Im Bauch der Königin“, der 2020 bei Dumont erschien. Sie ist ein selbstsicheres Mädchen, das Younes verprügelt, die ihre Haare kurz trägt und sich nach ihrem Vater sehnt, der zurück nach Kurdistan gegangen ist. In ihrer Nachbarschaft lebt auch Raffiq, der beste Freund von Younes. Auch sein Vater überlegt, wieder in seine Heimat zurückzukehren, die Eltern streiten deswegen und Raffiq fühlt sich verloren, weiß nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll.
Sowohl Amal als auch Raffiq suchen Trost bei Shahira, Younes Mutter. Sie ist geschieden, alleinerziehend, trägt schicke Klamotten, die von der Community als zu aufreizend verurteilt werden. Und sie hat viele Liebhaber, was zusätzlich für Getuschel und Unmut sorgt. Amal und Raffiq sind gleichzeitig fasziniert und abgestoßen von ihrem Lebensstil. Ihr Sohn Younes leidet vor allem unter dem Stigma, das die Gesellschaft seiner Mutter aufdrückt. Sein Vater, der die Familie verlassen hat, wird für ihn zu einer Sehnsuchtsfigur.
Karosh Taha schreibt über all diese Figuren aus zwei verschiedenen Perspektiven, die in zwei verschiedenen Wahrheiten verhaftet sind. Die eine wird aus Amals, die andere aus Raffiqs Sicht erzählt, sie beginnen jeweils auf der anderen Seite des Romans, der somit als Wendebuch konzipiert ist. Mit welcher Seite, welcher Perspektive die Lesenden beginnen, ist ganz ihnen überlassen.
Die beiden Perspektiven ergänzen sich und tun es doch nicht, sie haben nichts miteinander zu tun und doch alles. Shahira und Younes fungieren als Bindeglieder, Shahira sogar noch mehr. Diese Frau, welche die Lesenden nur aus der Außenperspektive kennenlernen und die doch Symbol ist für all die Sehnsüchte, die Träume, die Unsicherheiten der anderen Figuren.
„Im Bauch der Königin" erzählt auf sehr intelligente Weise von den Problemen, die ausgewanderte Menschen in Deutschland erwarten. Von den inneren und äußeren Konflikten. Der Roman thematisiert Feminismus, tradierte Männlichkeitsbilder, zerbröckelnde Familienstrukturen, Ängste und Sehnsüchte. Ein starkes, wichtiges Buch.
Text und Tipp: Sarah Kugler